Skizzen aus Wien – Nr. 38

Rocking Sandworm - artwork zoer

Eines kann man mit ziemlicher Sicherheit vorausschicken: Kris Kristofferson hat es gut gefallen in Wien. Nicht nur hat er einen wunderschönen Abend in der Halle F der Wiener Stadthalle gestaltet, sondern nach einem fast zweistündigen Konzert, das durch eine kleine Pause unterbrochen war, auch noch an die zwanzig Minuten die mitgebrachten Bilder, CDs und Tickets seiner treuen Anhänger signiert.

Man hätte es kaum besser planen können, lief doch der Protestmarsch der Studenten an jenem grauen, nasskalten 5. November passenderweise bis zum Märzplatz und ich musste von dort nur ein paar Meter zurücklegen, um zur bis dato noch nie besuchten neuen Halle zu gelangen. Ich fand es auch thematisch treffend, sich nach erfolgter Solidarisierung mit einer guten Sache einen Singer/Songwriter anzuhören, der sich selbst in diversen Protestbewegungen verdient gemacht hatte. Deshalb war ich auch einigermaßen erstaunt über das Publikum, dass sich an diesem Abend die Country-Folk Legende Kristofferson ansehen wollte. Ich hatte nicht nur aufgrund des Song-Katalogs, sondern auch wegen des Genres, zumindest optisch, mit einem gänzlich anderen Spektrum an Leuten gerechnet. Eher im Stile von „Der Mann in den Bergen“ bei den Männern und vielleicht einer älter gewordenen, aber immer noch subversiven Janis Joplin bei den Frauen. Vielleicht habe ich doch zu viele Jahre in den USA verbracht, auf jeden Fall hätte sich die erwartete Menschenmenge von der tatsächlich sich eingefunden habenden kaum stärker unterscheiden können. Da gab es ältere Herren mit kaum noch vorhandenem Haar, dickere Damen mit glitzernden Satinblusen, aufgebrezelte Frauen, die nicht mehr so ganz ins hautenge Wollkleid passten, sich aber für den Abend eine strahlende neue Blondierung geleistet hatten, ältere Ehepaare, die man vermutlich auch auf einem Schlagerkonzert antreffen könnte fanden sich genauso ein, wie Gentlemen im Anzug, Frauen im Businesskostüm, oder einige wenige jüngere Zuhörer und schließlich sah ich sogar noch einen Herrn, der stolz sein aufwändig besticktes Westernhemd ausführte sowie zwei Männer, die sich für den Abend mit einer sogenannten „Bootlace Tie“ schön gemacht hatten. Bis auf die letzteren Country-Exemplare, würde ich mit einer derartigen Menschenmischung auch auf einem, vielleicht etwas provinzielleren, Bahnhof rechnen – eher älteres Durchschnittsalter, aber vollkommen bunt durcheinander gewürfelt.

Kris Kristofferson, Vienna 09

Trotzdem, oder gerade deshalb, war es schön zu sehen, dass all diese gänzlich unterschiedlichen Menschen in den kommenden Stunden etwas gemeinsam hatten, dass alle einem Mann an den Lippen hingen: Kris Kristofferson, der fast pünktlich kurz nach 20 Uhr, ganz allein mit Gitarre und Mundharmonika ausgerüstet, die Bühne betrat. Und es sollte keiner von ihnen enttäuscht werden, auch ich nicht, denn obwohl ich keine große Freundin von Sitzkonzerten bin, hat es nicht lange gedauert bis diese ganz besondere Atmosphäre, die Kristofferson durch seine warme, tiefe Stimme und seine nachdenklich-melancholischen Lyrics an diesem Abend bis zum letzten Winkel der Halle verströmen ließ, die ungeteilte Aufmerksamkeit der Zuhörerschaft fand. Andächtig, fast religiös, saßen und horchten die Leute im Publikum, denn wenn man zwischendurch in die Reihen blickte, suchte man nicht lange und fand den einen oder die andere, deren Lippen die Wort für Wort verinnerlichten Textzeilen mitformten, samt dazugehörig verklärtem Blick.

Kris Kristofferson, Vienna 09

Kristofferson eröffnete den Abend mit „Closer to the Bone“, einem Song aus dem gleichnamigen, jüngsten veröffentlichten, Album (welches ich übrigens sehr empfehlen kann), und hantelte sich durch ein abwechslungsreiches Programm, in dem sich unter anderem Songs wie „Love Don’t Live Here Anymore“ oder „Final Attraction“, die Klassiker „Me And Bobby McGee“ oder „Help Me Make It Through the Night“, Kompositionen wie „Sandinista“, „Silver Tongued Devil and I“ oder „Sunday Mornin’ Comin’ Down“ befanden. Schließlich neigte sich der Abend dem Ende zu und ich denke, dass es auch Kristofferson gefallen hat, hatte er doch gerade die letzten Akkorde des vermeintlich letzten Liedes gespielt, als er sichtlich bewegt von der Zuwendung durch das Publikum einen Moment lang in sich zu gehen schien und dann meinte „Wait, I’ve got another one for you“ und das rührende „Don’t Tell Me How the Story Ends“ anstimmte. Ein Lied, das mit folgenden Zeilen beginnt:

This could be our last good night together; we may never pass this way again; just let me enjoy it ‚til it’s over, or forever; please don’t tell me how the story ends.

Man mag diese Passage interpretieren wie man will, manche würden vielleicht auch eine Vorahnung Kristoffersons herauslesen wollen, schließlich ist der gute Mann mittlerweile 73 Jahre alt, ich halte mich an das an jenem Abend Erlebte: ein absolut fitter, inspirierender Songwriter, der die gute Stimmung im Saal in sich aufsog und sie, so wie alle Anwesenden, bis zur allerletzten Minute auskosten wollte.

Kris Kristofferson, Vienna 09

Das hat er schließlich auch und in einem dem Konzert folgendenen Autogramm-Marathon nahezu allen Fans ihre mitgebrachten Devotionalien signiert. Mich schließlich hat Kris Kristofferson mit einem herzlichen festen Händedruck auf den Nachhauseweg geschickt – möge er noch lange leben und häufig nach Wien zurückkehren.

Susanne, 7. November 2009

2 Kommentare zu “Skizzen aus Wien – Nr. 38

  1. Schein sagt:

    Super-Bericht, danke! Auf youtube sind interessnte Videos zu diesem Konzert zu sehen, auch die angesprochene Zugabe danach mit der Autogrammsession!

  2. thesandworm sagt:

    Danke, freut mich, dass dir der Bericht gefallen hat, die Videos werd ich mir bei Gelegenheit ansehen, lg Susanne

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