Skizzen aus Wien – Nr. 24

literary sandworm (Artwork ZOER)

 

Vor nicht allzu langer Zeit schrieb New York Times Kolumnist Nicholas D. Kristof in seiner Kolumne über die Tendenz der Menschen Informationen danach zu filtern, ob diese ihr jeweiliges Weltbild unterstützen, oder nicht. Sprich – man liest die Zeitungen und sieht diejenigen TV-Sender, die am ehesten das schreiben und senden, was man lesen oder sehen möchte.

Diese Neigung ist keine jüngst erst entdeckte, bereits Alfred Adler, seines Zeichens Begründer der Individualpsychologie, beschrieb dergleichen mit dem hübschen Fachbegriff „tendenziöse Apperzeption“ und meinte damit eben diese Art selektiver Wahrnehmung. Wir gestalten demnach unsere Welt, soweit es möglich ist, indem wir unser Weltbild stützende Fakten aufsuchen und jene, die nicht unserem Wertesystem entsprechen, ausblenden.

Kristof beschreibt dies in seiner Kolumne sehr treffend, wenn er beispielsweise erklärt, dass wir uns besonders dann freuen, wenn wir selbst ausgemacht dumme Argumente, die den Gegner als Esel darstellen, lesen. Ja, wir suchen geradezu danach. Trauriges Resultat dieser selektiven Informationssuche ist schließlich die Tatsache, dass die eigene Position, das eigene Werteschema immer extremer wird, es resultieren lt. Kristof Polarisierung und Intoleranz.

Dergleichen ist einem zwar bewusst, irgendwie merkt man aber doch, dass es gar nicht so leicht ist, sich aus seinem selbst geschaffenen Winkel auch wieder herauszubewegen. Aber, wer so wie ich Anhänger der Aufklärung ist, der lässt sich so leicht nicht entmutigen und wer sich so wie ich, in den vergangenen Monaten des Öfteren grün und blau geärgert hat über die sinkende Qualität im Online-Standard, dem fällt es auch dementsprechend leichter, wenn auch nur getrieben vom niederen Motiv der Rache, sich auch einmal die Publikation der Gegenseite zu bestellen. Wir sprechen hier immer noch vom sog. Qualitätsjournalismus, also fiel die Wahl naturgemäß auf die Presse. Die Wiener Zeitung ließ ich unbeachtet, denn selbst ich bin der Meinung, dass man alles mit Maß und Ziel betreiben sollte.

Kaum war der Entschluss gefasst, den eigenen Horizont mit wertkonservativem Gedankengut zu erweitern, war das Medium auch schon so gut wie bestellt. Dankenswerterweise hat sogar die Presse das eine oder andere Gratis-Test-Abo zur Verfügung, ich entschied mich für die 3-wöchige Option (es gab auch eine 6 Wochen Variante, ohne Sonntag, aber wie gesagt, man soll nichts übertreiben…). Dann passierte längere Zeit nichts und ich begann zu vermuten, dass ich aufgrund meiner Eigenschaft als langjährige Abonnentin des Standard vielleicht auf einer schwarzen Liste der Presse Eingang gefunden hatte. Einen haarsträubenden Standard-Artikel später (ich beziehe mich hierbei auf die Online-Version der Zeitung, da ich die papierene Ausgabe bereits seit fast einem Jahr nicht mehr abonniere), gewann der Zorn die Oberhand und ich bestellte das oben erwähnte Testabo der Presse einfach noch einmal. So leicht gab ich mich nicht geschlagen.

Dann tat sich wieder längere Zeit nichts. Ich war bereits so weit gewesen, meine beabsichtigte Horizonterweiterung auf andere Publikationen, bevorzugt am Buchsektor zu verlagern, als eines schönen Tages, es war der vergangene Donnerstag, fast wie gebügelt, glatt und glänzend, die Presse auf der Fußmatte vor meiner Wohnungstür lag. Diese eine Lektüre war denn auch sehr informativ, kein einziger Artikel, nicht mal im Kommentarsektor, hat mich groß aus der Ruhe gebracht, ich war also bereit für meine 3 Wochen hochkonzentrierter Aufnahme konservativ-christlichen Qualitätsjournalismus. Natürlich habe ich mich zu früh gefreut, denn als ich am nächsten Morgen freudestrahlend die Tür aufschloss und meine Presse in Empfang nehmen wollte, lag da keine Presse. Nein, fast treuherzig, wie um Verzeihung bittend, blickte mich die lachsrosarote aktuelle Ausgabe des Standard an.

Was um Himmels Willen konnte da passiert sein? Fand auf meiner Fußmatte ein Zeitungskrieg in Miniaturform statt? Sind die Qualitätsblätter bereits so verzweifelt um Leser bemüht, dass man begonnen hatte, sich um potentielle Gratisabonnenten zu schlagen? War der Kolporteur verwirrt, oder bestochen? Ich muss dazuerwähnen, dass die oben zitierte tendenziöse Apperzeption Jeden und Jede betrifft. Ausnahmslos. Und die Tatsache, dass, aus Zeiten in denen ich den Standard noch als Printausgabe abonniert hatte, noch immer ein DerStandard-Aufkleber auf meiner Wohnungstür klebt, könnte sich durchaus auch auf die Distributionswilligkeit meines ehemaligen Zeitungsausträgers ausgewirkt haben. Der sieht meinen Aufkleber an der Tür, die Presse auf der Matte und denkt sich, es kann nicht sein, was nicht sein darf und legt mir, da er weiß, dass sich derlei Lektüre vielleicht nachteilig auf meine seelische Befindlichkeit auswirken könnte, wohlwollend, ja fürsorglich, auch kostenfrei, den Standard vor die Tür. 

Wie das ganze weiter geht? Ich habe keine Ahnung, aber wenn sich jetzt die Krone, in deren heutiger Ausgabe der darin schreibenden Volkspoet Wolf Martin unter Anderem deklariert: „Wie ein Fels in Österreich steht sie, trotzend feiger Meute, für dies Land und seine Leute“, wenn sich jetzt also die Krone, die sich auch sicher für ein qualitativ hochwertiges Zeitungsprodukt hält, auch noch einmischt…nicht auszudenken!

Frohe Ostern!

 

Susanne, 12. März 2009